Jena. Der Garten der Insel ist Geschichte. In einem zweitägigen Einsatz hat der Kommunal Service Jena (KSJ) den Garten des Hausprojektes geräumt. Dabei ist nicht nur einiges an Material und Bauten zu Bruch gegangen sondern auch politisch erheblich Porzellan zerschlagen wurden. In einer Chronologie der Ereignisse dokumentieren wir die Abläufe.
Dienstag (4.12.2018) kurz vor sieben Uhr. Die Bewohnerinnen des Hausprojektes werden durch lautes Kettensägengeheul aus dem Schlaf gerissen. Schnell wird klar: das Land hat sein Versprechen gebrochen. Gegenüber den Bewohnerinnen war zugesagt: Der Garten darf bleiben bis mindestens Januar. Der Garten ist für die Insel nicht nur Aufenthaltsraum sondern auch zentraler Projektbereich. Es gibt eine Bar, eine Bühne, Feuerstellen, ein Küchen-Haus (freiwillig abgerissen im November). Tausende Menschen nutzen jedes Jahr die kostenlos zur Verfügung gestellte Infrastruktur. Es gibt Partys, politische Veranstaltungen, Konzerte, Kino und Solidaritäts-Küchen. Jeden Mittwoch versorgt die Insel 200-300 Hungrige. Das Essen ist kostenlos, aber es werden Spenden gesammelt. Die Spenden fließen wöchentlich an diverse Initiativen oder Kulturprojekte. Die Köch*innen entscheiden jede Woche aufs Neue, welches Projekt diesmal unterstützt werden soll. Gekocht wird nur vegan (ohne tierische Produkte), so kann jeder Mitessen und kein Tier muss leiden.
Schnell laufen Bewohner*innen in den Garten. Sie wollen verhindern, dass ihnen die Bäume genommen werden. Von einer vollständigen Räumung des Garten geht in diesem Moment niemand aus. Mitarbeiter des Kommunalservice sind in der Dunkelheit auf einer Hebebühne auszumachen. Menschen stehen mittlerweile unter den Bäumen. Sie rufen nach oben um nicht von herab fallenden Ästen getroffen zu werden. Nach Angaben der Insel reagiert einer der Mitarbeiter auf die Rufe mit Lachen – es wird weiter gesägt. Die entsprechende Situation ist im folgenden Video zweifelsfrei belegt. Die handelnden Mitarbeiter haben Menschenleben in Gefahr gebracht und mit Sicherheit einen großen Berg Dienst- und Arbeitsschutzvorschriften ignoriert. Es gab auch keinen abgesperrten Sicherheitsbereich, wie bei Fällungen sonst üblich.
Nach Angaben der Insel wendet man sich darauf folgend an eine verantwortliche Person von KSJ vor Ort – es wird berichtet, dass Menschen unter den Bäumen stehen. Statt umgehend die Arbeiten zu unterbrechen habe KSJ erst die Polizei gerufen und dann nach einiger Zeit die Arbeiten eingestellt. Ein großer Ast stürzt auch auf eine Jurte im Garten der Insel. Sie ist blickdicht. Hineingesehen, ob sich ein Mensch in ihr befindet, hätten die Holzfäller nicht – sagte eine Sprecherin der Insel.
Die Höhenarbeiten wurden eingestellt und es wird angefangen, Zäune und Büsche am Rand des Grundstücks zu zersägen.
Es ist 7.50 Uhr: der Autor des Artikels trifft vor Ort ein. Alle folgenden Berichte sind entsprechend selbst wahrgenommen.
Mittlerweile haben sich einige Polizisten vor Ort eingefunden. Sie stehen außerhalb des Grundstücks und beobachten das Geschehen. Die Atmosphäre ist sehr aufgeladen. Ein gutes Dutzend Aktivistinnen ist vor Ort. Es fallen Beleidigungen. Nicht nur von Aktivistinnen, sondern auch durch Arbeiter des städtischen Unternehmens. Die Protestierenden versuchen die Räumung ihres Gartens zu verhindern. Abgesägte Äste werden zurück in den Garten getragen. Menschen klettern auf Bäume um die Rodung zu verhindern. Jedes abgesägte Stück Holz ist heiß umkämpft. Aktivist*innen klammern sich an das Holz. KSJ-Mitarbeiter versuchen am anderen Ende zu ziehen um es mitzunehmen. Viele Szenen des jungen Tages erinnern an eine neue Sportart: Holztauziehen. Sieger gibt es keine: viel Holz wird geschreddert oder entsorgt. Im Garten selbst türmen sich aber auch große Berge an zurückeroberten Gehölz.
Neben dem schon fast grotesken Tauziehen gibt es aber auch sehr unschöne Szenen. Die Mitarbeiter von KSJ sind sehr aufgebracht. Wie auch schon am frühen Morgen scheinen Sicherheitsvorschriften keine große Rolle beim Umgang mit der Kettensäge zu spielen. Es wird direkt neben den Körpern von Aktivist*innen gesägt – teilweise 20cm nah. Der Autor konnte auch beobachten wie vollkommen blind von außerhalb des Zauns nach innen gesägt wurde. Genaue Sicht auf Dinge, die in Reichweite der Kettensäge sind, konnte so nicht vorhanden sein. Es hätte Verletzte geben können.
Trotz der aufgebrachten Stimmung gab es nur zwei beobachtete Gewalttätigkeiten:
Ein Mitarbeiter von KSJ hat, nachdem er eine Zaunfeld auseinander gebrochen hatte, versucht mit einer circa 1,2 Meter großen Holzlatte einen der Aktivisten zu schlagen. Der Schlag ging daneben. Mehre Personen wurden darauf aufmerksam und es gab ein kurzes Handgemenge. Die Polizei ging dazwischen und trennte die Kontrahenten. Was den Mitarbeiter dazu veranlasste, war unklar. Die Menschen in seiner Umgebung verhielten sich in diesem Moment recht passiv und umklammerten andere Teile des niedergerissenen Zauns. Der entsprechende Mitarbeiter fiel im Laufe des Tages mehrfach auf: er war sehr in Rage und deutlich ambitionierter als seine Kollegen. Die Polizei nahm ihn noch einmal zur Seite, dann beruhigte er sich etwas. Entsprechender Mitarbeiter hat uns übrigens verboten, Fotos von ihm zu veröffentlichen – er wird wissen warum.
Die zweite Situation war am Hochbeet im Vorgarten. Auf eben jenem Hochbeet stand ein Aktivist und protestierte gegen die Zerstörung des Vorgartens. Der Mitarbeiter hantierte mit der Kettensäge direkt an den Füßen des Mannes. Der Aktivist gab dem Motorsägenführer einen schwachen Schlag auf dem Helm um nicht am Fuß durch die Säge verletzt zu werden. Er schrie darauf auch den entsprechenden Arbeiter an, warum er in seinen Fuß sägen wolle.
Mehrere Mitarbeiter vom Kommunalservice hatten sichtlich Spaß beim zerlegen diverse Möbel und Bauten im Garten der Insel. Klar erkennbare private Gegenstände wurden mit Kettensägen zerstückelt. So fiel auch die Freebox im Vorgarten den Maschinen zum Opfer.
Im Laufe des Tages wurden auch die Mülltonnen des Hausprojektes aufgeladen und abtransportiert. Gegenüber der OTZ behauptet KSJ, das würde dem Schutz der Mülltonnen vor herabfallenden Ästen dienen. Vor Ort sagte uns aber die verantwortliche Mitarbeiterin, es gäbe keine gültigen Mietverträge mehr und entsprechend würden die Mülltonnen mitgenommen, sie gehörten sowieso KSJ. Auf den Hinweis, dass es sehr wohl aktuell noch zwei legale Mieterinnen im Haus gäbe, antworte die Mitarbeiterin: davon wisse man nichts. Aktivistinnen reagierten auf den Abtransport der Mülltonnen durch kreativen Protest. In Verhandlungen wird zugestimmt, die Tonnen zurückzubringen. Die Polizisten vor Ort sind auch nicht begeistert von der Situation. Sie versuchen, wie schon den ganzen Tag, deeskalierend zu wirken: nicht nur auf die Aktivistinnen und Bewohnerinnen sondern auch auf KSJ.
Dies bestätigte auch ein Sprecher der Insel: „die Polizist*innen sind am entspanntesten, dann kommen die Vertreter des Landes und KSJ ist am eskalieren.“
Die sehr passive Polizei hatte allerdings zur Folge, dass die Mitarbeiter des kommunalen Unternehmens einfach die Aufgaben der Polizei übernommen haben. Es wurden oft Aktivist*innen mit einfacher körperliche Gewalt weggezogen oder weggedrückt. Dabei ging es teilweise sehr ruppig zu. Theoretisch haben die städtischen Mitarbeiter für diese Art der Gewalt keine Legitimation. Zur Ausübung des Gewaltmonopols des Staates ist originär die Polizei verantwortlich. Die Insel hat diverse Strafanzeigen gegen das Verhalten der KSJ-Arbeiter angekündigt. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Stadt Disziplinarverfahren eröffnet. Hier muss aber auch klar gesagt werden, dass entsprechendes Verhalten der Arbeiter von höchster Stelle bei KSJ toleriert wurde. Fast die gesamte Zeit war Werksleiter Uwe Feige in Sichtweite. Es musste wahrnehmen können, was vor Ort passierte.
Nach etwa fünf Stunden wurde die Aktion abgebrochen. Ein Teil der Bäume war gefällt, einige Zäune gefallen. In Absprache auch mit den Bewohner*innen wurde nach Rückgabe der Mülltonnen die Fällung eines Baumes erlaubt. Dieser war am frühen Morgen leicht angesägt wurden. Er drohte umzufallen. Ein Mensch gab seine Besetzung auf und kletterte hinab.
Das von der OTZ veröffentlichte Kinderbild auf der Titelseite war eine Situation am Rand des ganzen Geschehens. Zu diesem Zeitpunkt ruhten die Arbeiten größtenteils. Der Anschein, dass ein Baby in den Barrikaden während der Räumung war, ist falsch. Es wurde vollkommen außerhalb jeder Gefahr kurz von der Mutti in den Baum gesetzt.
Die Insulaner reagierten am späten Abend mit einer Pressemeldung.
Auch am Mittwoch (5.12) ging die Räumung des Gartens weiter. Diesmal hatte die Polizei vorgesorgt und unterstützte die Mitarbeiter des KSJ mit einer Einsatzhundertschaft aus Erfurt. Die Polizisten riegelten das Areal weiträumig ab. Sie waren allerdings auch wie am Tag zuvor sehr entspannt. Durch die Absperrung des Gartens konnten keine Personen das Haus oder den Garten betreten. Nur zwei Bewohnerinnen wurde der Zugang ermöglicht, da dies die einzigen Bewohnerinnen des Gebäudes sei. Dieses ist offensichtlich nicht ganz richtig. In der Insel wohnen aktuell deutlich mehr als zwei Personen dauerhaft. Das dürfte noch ein größeres Problem für den Freistaat in der Zukunft werden. Auch Menschen ohne Mietvertrag sind rechtlich nicht komplett schutzlos. Grundsätzlich müssen auch diese Menschen erst mit Räumungsklagen vor Gericht zum Gehen gezwungen werden. Einfach Räumen darf man sie nicht. Nach uns vorliegenden Informationen möchte das Land die Insel bis zum 31.12.18 geräumt haben. Diese Zeitschiene dürfte unter Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren unmöglich sein.
Nach einigem Hin- und Her wurde eine Vereinbarung mit KSJ getroffen, die privaten Gegenstände einzulagern. Diese wurden unter Zuhilfenahme von fünf weiteren Personen zum Abtransport vorbereitet und müssen Anfang des kommenden Jahres geholt werden.
Eine kleine Nebenposse spielte sich um die Garagen ab. Diese wurden nach der Räumung des Garten ebenfalls abgerissen. Damit hat Jena nun auch einen der food-sharing Fairteiler verloren. Das Land hatte vergessen, dass es eine der Garagen vermietet hatte. Der entsprechende Mietvertrag war jedoch nicht gekündigt wurden. Nach unseren Informationen konnte man sich kurzfristig mit dem Mieter einigen. Dieser bekommt eine finanzielle Entschädigung für seine Mühen und das Privateigentum wird bis zur Abholung eingelagert.
Im Laufe des Tages versammelten sich mehr und mehr Menschen um den abgesperrten Bereich. Am frühen Nachmittag wurde noch eine Kundgebung gegen die Räumung angemeldet. Es wurde Musik gespielt und Parolen gesungen.
Die zweitägige Räumung des Gartens ist vermutlich nur ein Vorgeschmack auf eine mögliche Räumung und den Abriss des Hauses Inselplazu 9a. Es bleibt zu hoffen, das Land oder Stadt doch noch eine Lösung für ein Ersatzobjekt finden.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ist die Räumung und der Polizeieinsatz gerade beendet wurden.
Autor: Martin Michel